Leinenzwang in Warstein als Folge der Hundeverordnung NRW
Vortrag von Frau Helga Schüller, Dipl.-Psych. aus Warstein, den sie mir freundlichst
zur Verfügung gestellt hat:
Anhörung der Bürger in Warstein
Heute muss ich auch einmal etwas berichten:
Auch in unserer kleinen Gemeinde Warstein (ja richtig, das ist da, wo das Warsteiner Bier
herkommt) schlugen die Wellen hoch wegen der NRW-Hundeverordnung und ganz besonders auch
deswegen, weil unser kleines städtisches Ordnungsamt, besetzt gerade mal mit 3-4
Kommunalbeamten, noch eins drauf setzte und in einem Rundumschlag allgemeinen Leinenzwang
für alle Hunde anordnete, vom Dackel bis zu Dogge, nicht nur in der Stadt, sondern im
gesamten Gemeindegebiet, einschließlich des feien Feldes und der vielen Wälder, die dazu
gehören. Da kann man nur sagen: "Urlauber mit Hund, kommt bloß nicht nach
Warstein!" Die Folge wren erbitterte Leserbriefe in der örtlichen Presse von
Befürwortern dieser Regelung, die angeblich schon mal beim Joggen von freilaufenden
Hunden bedrängt oder sonst irgendwie gestört wurden, und von Hundebesitzern, die die
Anordnung gern aus der Welt hätten. So kam es zu einer Anhörung auf Initiative einer
Wählergemeinschaft, der BG, unter ihrem Vorsitzenden Gödde, dem ehemaligen
Bürgermeister und neutralem Nicht-Hundebesitzer, im Vereinsheim des Schäferhunde-Verein.
Horst Müller, der 1. Vorsitzende des SV, rief mich an und argumentierte, ich hätte
doch studiert und ob ich nicht zur Einführung in das Thema einen kleinen Vortrag...? Na
klar, mach ich, und hier ist er:
"Meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Sportsfreunde,
Entwicklung und Entwicklungsstörungen sind beim Kind wie beim Hundewelpen zwei Seiten
einer Medaille. So wenig, wie ich erwarten kann, dass aus einem vernachlässigten oder
ungeliebten Kind ein ausgeglichener Erwachsener wird, so wenig werde ich einen
unauffälligen, wohlerzogenen Hund mein Eigen nennen können, wenn ich nicht in der
Erziehung und hier besonders in der Früherziehung sorgfältig und überlegt vorgegangen
bin.
Der Hund, der Welpe, kann sich seinen Herrn nicht selbst aussuchen. Unter
Berücksichtigung gewisser rassespezifischer Unterschiede wird er das, was der Halter aus
ihm macht. Der Deutsche Schäferhund z.B. leistet Beachtliches im Dienst von Polizei,
Zoll, Bundeswehr und Bundesgrenzschutz. Er hilft als Sanitätshund, Lawinen- und
Katastrophenschutzhund und Blindenführhund. Aber mehr als andere Rassen wurde er auf
Grund seiner Schutzqualitäten auch mißbraucht. Er wurden und wird gegen Menschen
gehetzt, mußte Konzentrationslager bewachen, wurde an der Zonengrenze an langen
Laufketten gehalten und sorgte für Ruhe und Ordnung unter den schwarzen Arbeitern
in südafrikanischen Diamantenminen.
Es ist immer der Mensch, der bestimmt, was aus einem Hundekind einmal wird.
Hinzu kommt, daß die meisten vom Halter beklagten Verhaltensstörungen gar keine sind,
sondern normales, aber in einer bestimmten Situation unerwünschtes Verhalten, so z.B. das
Jagen oder Nachjagen nach sich bewegenden Objekten, das kann ein Blatt, ein
Tempotaschentuch oder ein Jogger sein. Oder die territoriale Verteidigungsbereitschaft: Da
soll der Hund den Einbrecher natürlich in den Po kneifen, wenn er über den Zaun steigt,
nicht aber den neuen Boyfriend der Tochter, der eben über diesen Zaun steigt, um von der
übrigen Familie nicht gesehen zu werden. In etwa 80 % der Fälle hängen die Probleme
ausschließlich vom Halter ab, der mit seinem Tier nicht sachgerecht umgehen kann.
In den Köpfen vieler Hundehalter herrschen oft völlig unzutreffende Bilder vom Wesen
ihrer Tiere. Viele leben unter mangelhaften, unnatürlichen Bedingungen in Menschenobhut,
schlafen mit im Bett, werden mit Süßigkeiten vollgestopft und aus Angst vor der ach so
bösen Welt nie von der Leine gelassen. Das andere Extrem, verdreckte, an alte Ölfässer
angekettete Hunde finden wir heute eher in südlichen Ländern. Die Bundestierärztekammer
bringt es auf den Punkt: 'Der größte Feind der Hunde ist der Besitzer, der ihre
Bedürfnisse nicht erfüllt.'.
Helfen Sie uns, meine Damen und Herren, daß in unserer Stadt zufriedene, weil artgerecht
gehaltene Hunde leben, die ein Recht auf überwachten und kontrollierten Freilauf haben
und durch die Entwicklung eines Triebstatus auf Grund nicht befriedigten Bewegungsdranges
nicht zur Gefahr werden.
Der Hund ist ein Traber. Langsames, gleichmäßiges Spazieren-'Schreiten' fällt ihm
schwer und belastet Skelett, Bänder und Sehnen. Da ist Am-Rad-Laufen schon besser, aber
der Hund ist auch ein Nasentier, der immer wieder mal stehen bleiben und Nachrichten
erschnüffeln muss, die andere Hunde vor ihm an einem Grasbüschel oder einem Baum
hinterlassen haben - und da ist das Am-Rad-Laufen wieder völlig ungeeignet. Sie sehen
schon: Überwachter und kontrollierter Freilauf muss schon sein. Dies aber erfordert einen
verlässlichen Gehorsam. Dieser Gehorsam - ohne Wenn und Aber - wird bei der
Vorbereitung auf die Begleithundeprüfung erworben. Keine Frage: Unerzogene oder schlecht
erzogene Hunde sind eine Gefahr und gehören an die Leine! Das geprüfte Begleithundeteam,
nämlich Hund und Besitzer, wird erstens nicht auffallen, zweitens trägt der Hund eine
Plakette am Halsband, die ihn als geprüften Begleithund ausweist und die auf Verlangen
vorgezeigt werden könnte (Anm.: So wird es beim SV gehandhabt). Leinenzwang für alle ist
keine Lösung!
Der einzige Hund, der mich jemals gebissen hat, war ein wunderschöner fuchsroter
Langhaardackel. Es war auf der Bundessiegerzuchtschau in Dortmund. Ich bewunderte gerade
sein prachtvolles, seidig rote Fell des angeleinten (!) Hundes und bedachte nicht, daß
Anstarren unter Caniden, also Hunden und Wölfen, eine Drohgeste darstellt - da hat er
mich mal eben blitzschnell in meine lose herabhängende Hand gebissen. Aus Sicht des
Dackels ganz normal - warum mußte ich ihn auch so anstarren. Aber: Bei einem kleinen Kind
hätte es auf dieser Höhe die Wange oder das Auge treffen können.
Wir als Hundesportler und Halter großer Hunde sind uns unserer Verantwortung für unsere
Tiere, die in ihrem Verhalten nicht vernunfgesteuert sind und arteigenen Gesetzen folgen,
sehr wohl bewusst und handeln danach. Zwischenfälle im Stadtgebiet sind, was unsere Hunde
betrifft, wohl die ganz große Ausnahme.
Die Zahl der verhaltensauffälligen Hunde steigt ständig an. Das ist nicht verwunderlich:
Hatten früher in der Familie gehaltene Hunde Gelegenheit zu vielen innerartlichen
Kontakten, weil sie von Mutter mit zum Einkaufen und von den Kindern - natürlich
unangeleint - mit zum Spielen auf die Straße genommen wurden, so werden nicht nur die
Kinder heute zu allen außerschulischen Aktivitäten per Auto gefahren, nein, schon der
Welpe wird tagtäglich ins Auto geladen und irgendwo ins Grüne gefahren, wo möglichst
keine anderen Hunde sind, die über den Kleinen herfallen könnten und wo man weit gucken
kann, damit man ja jeden evtl. sich nähernden Hund nebst Besitzer schon von weitem
sieht und Vorkehrungen zum Schutz des kleinen Hundebabys treffen kann. Wen wundert's, daß
diese Welpen, die nur Menschen als Sozialpartner kennen lernen und ängstlich von anderen
Hunden fern- oder an straffer Leine gehalten werden, schlecht sozialisiert, zu eben jenen
erwachsenen Hunden heranreifen, die dann über alles, was 4 Beine hat und bellt,
herfallen. Ausschließlich auf Menschen sozialisiert glauben sie, sie seien auch eine Art
Mensch und alle anderen Hunde ihre Feinde.
Innerartliches, beaufsichtigtes Spiel zwischen der 8. und 16. Lebenswoche ist das
Wichtigste, was man einem Hundewelpen mitgeben kann, damit er zum verträglichen Begleiter
wird und sich unauffällig ins Gemeinwesen einfügt. Hierfür wollen wir
Welpenspielstunden einrichten.
Sie glauben gar nicht, was Hundebesitzer für ihre fehlsozialisierten Lieblinge so alles auf sich nehmen. Ich kenne da z.B. einen kleinen weißen Wuschelhund, der wird für jeden Pinkelgang 4x täglich im Auto an einen Ort gefahren, weil er angeblich nur dort 'kann'. Ich kenne Hundebesitzer, die ihren Liebling nur im Schutz der Dunkelheit ausführen oder ganz früh morgens, wenn garantiert keine anderen Hunde unterwegs sind, weil der Hund tobt, wenn er eines anderen Hundes ansichtig wird und einfach nicht zu halten ist. Diese Hunde sind arme Schweine.
Häufig ersetzen diese armen Hunde den
fehlenden oder verstorbenen menschlichen Sozialpartner, was ebenfalls zu
Verhaltensstörungen führt. Dennoch sind sie nützlich und wir sollten über den
verfetteten Dackel der alten Dame nicht die Nase rümpfen, der ihr Ein und Alles ist, ihr
Lebensinhalt und der Grund dafür, daß sie noch jeden Morgen aufsteht und für sich und
den Hund einkaufen geht. Vereinsamung und Gleichgültigkeit dem Schicksal anderer
gegenüber existieren. Besonders frisch gebackene Hundebesitzer, aber auch alle anderen
sollten mit ihren Lieblingen unter Anleitung und mit Hilfestellung kompetenter Trainer
künftig mehr Freude als Frust erleben dürfen.
Hundeerziehung ist keine Hexerei, wenn man weiß, wie ein Hund funktioniert. Die Erziehung
bzw. die Verhaltensmodifikation seines Besitzers ist da schon viel komplizierter und
gehört in den Bereich der Psychologie."
Vielen Dank Frau Schüller!
Erziehung Hundeproblematik Das Wesen unserer Hunde in der Zucht