Das Wesen unserer Hunde
Viele Hunde werden heute in völlig art-, typ- oder rasseungeeigneten Verhältnissen gehalten und zeigen in zunehmendem Maße sog. "Wesensmängel", unerwünschte Verhaltensweisen, wie übermässige Ängstlichkeit oder Aggressivität.
Nicht nur die (falsche) Erziehung beim Besitzer ist daran schuld, auch wir Züchter sollten uns mit unserem Wissen und Vorgehen bei der Zuchtplanung und der Aufzucht unserer Würfe immer wieder kritisch auseinandersetzen.
Die Veranlagung vieler Wesensmerkmale vererben die Elterntiere ihren Nachkommen, z.B. gibt es in manchen Hundefamilien besonders temperamentvolle oder sehr ruhige Tiere, Tiere mit sehr deutlich oder kaum ausgeprägtem Jagd-, Beute- oder Apportiertrieb so gehäuft, dass dies bei der Zuchtplanung mit berücksichtigt werden sollte.
Zur Auswahl der Zuchtpartner gehört auch und gerade die Überlegung, ob beide Elterntiere wesensmäßig zueinander passen. Als Züchter muss man sich insbesondere der Veranlagung der Hündin bewusst sein, da diese nicht nur ihr Erbgut an ihre Kinder weitergibt, sondern in den ersten Wochen das Verhalten ihren Kindern zusätzlich durch ihr eigenes Verhalten prägt. Besondere Vorsicht muss bei der Zucht mit ängstlichen Hündinnen geübt werden. Hier sollte der Zuchtpartner unbedingt ein besonders ausgeglichenes Wesen haben, da gerade die Paarung von ängstlichen oder scheuen Tieren mit besonders dominanten Partnern häufig Nachkommen mit niedriger Reizschwelle hervorzubringen scheint.
Die ersten 7 Lebenswochen spielen für die Wesensentwicklung der Welpen eine Schlüsselrolle. Daher sollte sichergestellt sein, dass der Züchter in dieser Zeit besonders viel Zeit mit seinen Hunden verbringt. Mangelhafte Aufzucht in diesem Lebensabschnitt kann zeitlebens nie mehr völlig korrigiert werden. Spätestens von der 8. Lebenswoche an muss jeder Welpe in zunehmenden Maße einzeln, d.h. ohne Sicht- und Hörkontakt zu Geschwistern oder erwachsenen Rudelgenossen, gefördert werden. Um gezielt zu fördern, gleichzeitig aber jede Überforderung zu vermeiden, müssen die verschiedenen Entwicklungsphasen der Welpen und Junghunde berücksichtigt werden:
In der vegetativen Phase (Geburt bis ca. Ende der 2. Lebenswoche) bilden Hündin, Welpen und Wurflager eine geschlossene Einheit. Aufgabe des Züchters ist es, die Mutter optimal zu pflegen und zu füttern, für Sauberkeit und Ruhe zu sorgen. Welpen in diesem Alter können z.B. durch das tägliche Wiegen (= Unterbrechung der Schlaf-Saug-Rhythmen durch Hochheben und Streicheln), Drehen um die Körperachse, kurzes Kopfabwärtshalten oder kurzfristiges Verbringen an einen kühleren Ort zu deutlichen Reaktionen angeregt werden. Jeder derartige (milde) "Stress" muss nach kurzer Zeit (maximal 1-2 Minuten) mit ruhigem Streicheln und Zurücksetzen in das vertraute Wurflager, also mit einem angenehmen Empfinden für den Welpen, beendet werden.
In der Übergangsphase (2. bis 4. Lebenswoche) beginnen die Welpen zu sehen und zu hören. Durch die Entwicklung dieser Sinne werden sie in dieser Phase durch akustische und optische Eindrücke stimuliert. Zusätzlicher, angemessener (!) Stress in dieser Phase kann z.B. durch Hochhalten der Welpen mit einer Hand, vorsichtiges Anschnippen der Pfoten oder fremde Geräusche (z.B. auch durch Radio oder spezielle Geräuschcassetten) ausgelöst werden.
In der Prägungsphase (4. bis 7. Lebenswoche) sollten Welpen möglichst viele neue und positive (!!!) Erfahrungen machen können. Die Umgebung muss abwechslungsreich gestaltet werden, unterschiedliche Bodenstrukturen, wechselnde akustische und optische Reize, Gelegenheiten zum Klettern, Graben und Rennen, Kontakte zu fremden Personen und Tieren usw. Alle Eindrücke, die in diesem Alter gesammelt werden, prägen das spätere Verhalten der Hunde. Was sie nicht kennen, wird später viel mühsamer als ungefährlich erfahren. Gerade in diesem Alter prägt Welpen das Verhalten der übrigen Rudelmitglieder, besonders der Mutterhündin. Neben dem möglichst vielseitigen Angebot wechselnder Reize dienen als Stressstimulation auch kleine Unternehmungen mit einzelnen Welpen des Wurfes, bei denen diese ohne die Sicherheit der Gemeinschaft, z.B. den menschlichen Haushalt mit Geräuschen von Haushaltsgeräten etc. kennenlernen sollten. Am Ende der 7. Lebenswoche sind Gehirn und Sinnesleistungen der Welpen soweit entwickelt, dass ihr Verhalten von nun an mehr und mehr durch Erfahrungen beeinflusst wird.
Bereits in diesem Altern lassen sich innerhalb eines Wurfes z.T. deutliche Verhaltensunterschiede erkennen, die fast gänzlich auf ererbter Veranlagung beruhen und daher bei der Plazierung der einzelnen Welpen an das neue künftige Zuhause berücksichtigt werden sollten.
Nach entsprechender Aufzucht sollten Hundewelpen am Ende der Prägungsphase gut auf Menschen sozialisiert, in neuer Umgebung neugierig und durch neue akustische und optische Reize nicht nachhaltig zu beeinflussen sein.
Die Sozialisierungsphase (8. bis 12. Lebenswoche) ist naturgemäß der beste Zeitpunkt der Übergabe an die neuen Besitzer. Diese sollten den Welpen auch in den kommenden Wochen ausreichend Kontakte zu gleichaltrigen Hunden ermöglichen (Treffen beim Züchter, Teilnahme an geeigneten Welpenspieltagen, private Initiative). Am Ende der Sozialisierungsphase unterscheiden Welpen bereits sehr genau zwischen Bekanntem und Unbekanntem, so dass die Umstellung auf neue Besitzer und fremde Umgebung zunehmend schwieriger wird.
Bei Rudelhunden beginnt in der Sozialisierungsphase die Einbindung in die Meutehierarchie, daher sollte bei Haushunden jetzt der Mensch die Schlüsselrolle im Welpenleben einnehmen, um von Anfang an als vollwertiger Rudelführer erkannt und akzeptiert zu werden. Im Spiel mit dem Welpen sollte dieser erfahren, dass alle Aktivitäten vom Menschen ausgehen und auch von ihm kompromisslos beendet werden. Auch das Tabuisieren bestimmter Gegenstände, Räume oder Verhaltensweisen des Welpen gelingt nie wieder so leicht und dauerhaft wie während der Sozialisierungsphase.
In der Umgebungslernphase erkunden Wildhunde im Geschwisterverband und mit älteren Rudelmitgliedern die weitere, fremde Umgebung. Beim Haushund muss spätestens jetzt der Mensch als Sozialpartner im Vordergrund stehen. In seiner Begleitung sollte der junge Hund Erfahrungen mit fremden Situationen sammeln können.
Gerade Züchter wundern sich oft, dass Hunde aus eigener Zucht ungewöhnlich unsicher reagieren, wenn sie allein in fremder Umgebung mitgenommen werden. Im Rudelverband wird ein Welpe/Junghund unter Umständen von den erwachsenen Hunden so dominiert, dass daraus eine allgemeine Unsicherheit im Verhalten entstehen kann. Desweiteren kann es auch geschehen, dass Welpen/Junghunde viel zu selten in fremde Umgebung etc. alleine mitgenommen werden; sie werden zu oft im Rudelverband gelassen. Verlässt ein Hund dann die Sicherheit des Rudels, wird er sehr oft mit großer Unsicherheit reagieren. Diese Unsicherheiten zeigen auch Hunde, die innerhalb der gewohnten Umgebung und gegenüber den älteren Hunden besonders forsch wirken. Auch die gleichzeitige Aufzucht mehrerer gleichaltriger Hunde kann in dieser Hinsicht problematisch werden. Zwischen ihnen bildet sich schnell eine feste Rangordnung, wobei der Rangniedrigere oft mehr und mehr Selbstsicherheit verliert.
Wer mehrere Hunde hält, sollte daher gerade im ersten Lebensjahr des Welpen die Kontakte untereinander kontrollieren und ausreihend Zeit für die unerlässlichen Einzelunternehmungen einplanen.
Nach Abschluss der Umgebungsphase kann bisher Versäumtes für die Wesensentwicklung des Hundes kaum noch nachgeholt werden. Bisherige positive Erfahrungen müssen in den kommenden Monaten erweitert und vertieft werden.
Das, was wir als "Wesen" eines Hundes bezeichnen, ist das Resultat seiner ererbten Veranlagung, den Einflüssen während der ersten 8 bis 10 Lebenswochen beim Züchter und der anschließenden Behandlung durch den Besitzer. Die Auswahl geeigneter Welpenkäufer ist daher eine der wichtigsten Aufgaben des verantwortungsvollen Züchters.
In der Erziehung und Ausbildung formt der Mensch gezielt oder unbewusst ebenfalls das Verhalten des Hundes. Erfahrene Ausbilder wissen das, unerfahrene Hundehalter (noch dazu, wenn sie keinerlei Ansprechpartner bzw. Hilfe haben) sind hier oft überfordert. Wer weiß schon, dass bei einem dominant veranlagten Welpen kleine "Fehler" in der Aufzucht zum Problem in der Dominanzaggression führen können? Oder bei eher unterwürfig veranlagten Welpen die häufig zu beobachtende "Vermenschlichung" unterbleiben, frühzeitig das gelegentliche Alleinlassen geübt werden und eine zu enge Nähe (Folgen bis auf die Toilette, Schlafen im Bett etc.) von Anfang an vermieden werden sollte, da unter Umständen beim erwachsenen Hund Trennungsangst in all ihren, für Hund und Halter (und dessen Nachbarn...) problematische Formen die Folge sein kann.